Kommunikative Figurationen
Ansatz
Wir erfahren alltäglich, dass gesellschaftliche Veränderungen mit dem Wandel von Medienkommunikation zusammenhängen:
Die ständige Erreichbarkeit über Smartphone, E-Mail und Informationsdienste verändert das Zeiterleben der Individuen. Soziale Beziehungen werden durch die verschiedenen Social-Web- Angebote neu gestaltet. Ganze soziale Felder werden neu verfasst, wenn Bildung nicht mehr nur von einem Gegenüber erfahren, sondern vornehmlich medial vermittelt wird oder wenn Politik mit medienbezogenem Handeln verwoben ist. Die Medien selbst ändern sich in ihren Inhalten und Technologien – und so auch unsere Medienumgebung insgesamt. Dabei geht es nicht um kurzfristige, sondern um langfristige Veränderungen, also um die Transformation der Konstruktion sozialer Wirklichkeiten. Welchen Stellenwert hat der Wandel von Medien und Kommunikation für Kultur und Gesellschaft? Welche Rolle spielen für aktuelle Veränderungen kommunikative KI und die Automatisierung von Kommunikation?
Jüngere Studien zu Medienwandel, kommunikativer Konstruktion, Mediatisierung und Datafizierung haben deutlich gemacht: Für die angesprochenen Veränderungen sind nur ausnahmsweise einzelne Medien und ihre Inhalte entscheidend. Die Durchsetzung technischer Kommunikationsmedien hat vielmehr in ihrer Gesamtheit eine durch Medien geprägte Transformation zur Folge, in der die Automatisierung von Kommunikation eine zunehmende Bedeutung hat. Heute kann man den Stellenwert von digitalen Medien und deren Infrastrukturen für die Transformation sozialer Wirklichkeiten also nur bestimmen, wenn man die kommunikativen Verflechtungen medienübergreifend erfasst: Mit „kommunikativen Figurationen“ bezeichnen wir eben diese Verflechtungen.
Kommunikative Figurationen sind – typischerweise medienübergreifende – Muster der wechselseitigen Verflechtung von Menschen durch Praktiken der Kommunikation. Die Mitglieder von Familien als Kollektivitäten sind beispielsweise möglicherweise räumlich voneinander getrennt, aber durch multimodale Kommunikation mittels Mobiltelefon, Email oder Austausch auf bestimmten Plattformen miteinander verbunden, wodurch familiäre Beziehungen aufrecht gehalten werden und ein familiäres Gruppengedächtnis konstruiert wird. Ein anderes Beispiel für kommunikative Figurationen sind Organisationen, die kommunikativ konstruiert werden mit Hilfe von Datenbanken, dem Austausch im Intranet, gedruckten Flyern und anderen Medien der internen und externen Kommunikation. Durch die Rolle und Position, die Individuen in den Akteurskonstellationen dieser Figurationen einnehmen, sind sie Teil derselben.
In einer solchen Sichtweise lassen sich kommunikative Figurationen an zumindest drei Charakteristika festmachen:
- Erstens haben kommunikative Figurationen eine bestimmte Akteurskonstellation, die sich als deren strukturelle Basis begreifen lässt: ein Netzwerk von Individuen, die miteinander wechselseitig verbunden sind und kommunizieren.
- Zweitens hat jede kommunikative Figuration dominante Relevanzrahmen, die handlungsleitend für deren konstitutiven Praktiken sind. Diese Relevanzrahmen definieren das ‚Thema’ und entsprechend den Charakter der kommunikativen Figuration als einer sozialen Domäne.
- Drittens haben wir es mit bestimmten kommunikativen Praktiken zu tun, die verwoben sind mit weiteren sozialen Praktiken. In ihrer Zusammensetzung beziehen sich diese Praktiken typischerweise auf und sind verschränkt mit einem Medienensemble.
Ein solches Verständnis von kommunikativen Figurationen eröffnet uns einen medienübergreifenden und prozessualen Ansatz, um die kommunikative Konstruktion verschiedener gesellschaftlicher Bereiche sowie der Transformation mit einer tiefgreifenden Mediatisierung zu untersuchen. Heutzutage sind wir mit einer Vielfalt unterschiedlicher, sich dynamisch wandelnder medienbezogener kommunikativer Figurationen konfrontiert. Wir können diese erfassen, indem wir deren Akteurskonstellationen, Relevanzrahmen und die mit einem Medienensemble verschränkten Kommunikationspraktiken empirisch erforschen.
Universität Bremen
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